DESY InForm


Liebe DESYanerinnen, liebe DESYaner,

seit einem Monat leben wir jetzt mit Krieg in Europa. Mit einer extremen Bedrohung, mit täglich neuen Realitäten. Bilder der Zerstörung in der Ukraine, der Verzweiflung der Menschen auf der Flucht. Das Weltbild, auch das eigene, ist erschüttert.

Die wissenschaftliche Weltoffenheit? Eingeschränkt. Der Campus-Alltag? Im Zeitenwende-Modus. Die ersten Geflüchteten aus der Ukraine sind in den Gästehäusern in Hamburg und Zeuthen angekommen. Es laufen außerordentliche Sitzungen, Krisenmeetings. Zu einer ersten Infoveranstaltungen für die Belegschaft sind Anfang März mehr als 1000 Teilnehmende dabei, im ersten Coffeebar-Treffen für die Ukraine-Hilfe schalten sich über 150 dazu. Der Wunsch nach Orientierung ist so groß wie der zu helfen.

Mit Menschlichkeit gegen das Unmenschliche. Gemeinsam durch angespannte, ungewisse Zeiten. Darum geht’s in diesem Newsletter: DESY zwischen offiziellen Sanktionen und uneingeschränkter Solidarität.

Ihr DESY inform-Team

SOLIDARITÄT & HILFE

Von Zeuthen zur ukrainischen Grenze – ein Hilfstrip an den Rand des Kriegs

Es ist ein Sonntagmorgen, als sich DESY-Wissenschaftler Stefan Klepser mit seinen Kollegen Stefan Ohm und Pavlo Plotko im DESY-Bus auf den Weg macht. Ihr Ziel: der polnisch-ukrainische Grenzort Przemyśl. Ihre Mission: Zwei Verwandte eines ukrainischen Mitarbeiters abholen und ins DESY-Hostel nach Zeuthen bringen. Ein 39-Stunden-Trip voller Solidarität und Mitgefühl. Stefan Klepser schildert hier seine Eindrücke:

Sonntagmorgen 8:00 Uhr. Der Wagen ist voll bis obenhin. Durch schnelle Vernetzung über Telegram und WhatsApp haben wir über einen ukrainischen Ex-Kollegen in Südafrika noch jemanden in Berlin gefunden, der zehn Pakete aus der Schweiz zu einer Kontaktperson in Przemyśl schicken will. Der Inhalt: Schutzwesten, Helme, Verbandszeug. Wir nehmen alles mit. Zehn Stunden Fahrt liegen vor uns. Die Autobahn ist frei. Ab und zu sehen wir Transporter mit Ukraine-Flaggen und Militärkonvois Richtung Grenze fahren. Kurz vor dem Grenzort Przemyśl empfangen wir ukrainisches Radio. Da wird uns unsere Mission richtig bewusst. Erst läuft noch Eros Ramazzotti, dann kommen ukrainische Songs. Dazwischen immer wieder Hinweise auf Englisch für Flüchtende und Helfende.

Przemyśl soll ein nettes Städtchen sein – wir erleben es leider nur in chaotischer Nacht. Am kleinen Bahnhof laufen Leute mit Kindern kreuz und quer, Kisten werden verladen, eine Feldküche bietet Suppe an. Es wird telefoniert und in Taxis gestiegen. Hier treffen wir, wie verabredet, die Verwandten unseres ukrainischen Mitarbeiters. Die mitgebrachten Pakete geben wir bei diesem Mann mit Katze ab. Er spricht kein Englisch. Aber mein Kollege Pavlo kann sich auf ukrainisch hin und polnisch zurück gut mit ihm unterhalten. Und die Katze bringt ein Stück Normalität in die Situation.

Am nächsten Tag führt der Rückweg über Lublin – ich möchte an der Stelle sagen, dass mich die Solidarität der Polen sehr beeindruckt. Hier nehmen wir drei weitere Geflüchtete – Mutter, Kind und Katze – mit, die zu einem Freund nach Kreuzberg wollen. Die Stimmung im Bus ist überraschend gut. Starke Mütter, die so gut wie möglich ihren Kindern ein Stück Normalität und Laune bewahren wollen. Die Gesichter auf dem Foto erzählen das komplette Gegenteil. Menschen im freien Fall. Ich möchte sie hier nicht zeigen. Aber man kann es sich vorstellen…. Bei Sonnenuntergang erreichen wir die polnisch-deutsche Grenze. Wir haben es fast geschafft. Nach 2000 Kilometern und 39 Stunden sind wir wieder zuhause. Wenn der Bedarf in unserem Umfeld da ist, machen wir uns wieder auf den Weg. Eine Gruppe Freiwilliger bei DESY hat bereits eine Chatgruppe gegründet, um jederzeit einsatzbereit zu sein.

Text und Fotos: Stefan Klepser

VOR ORT IN ZEUTHEN

Bereits wenige Stunden nach Kriegsbeginn erreichten den Campus in Zeuthen erste Hilfsgesuche von Angehörigen und Kooperationspartnern. Die Kolleginnen und Kollegen reagierten schnell. Die ersten Geflüchteten aus der Ukraine zogen schon am 4. März ein, mittlerweile sind von den verfügbaren Zimmern des Hostels zehn mit Geflüchteten belegt. „Wir versuchen gemeinsam, das Chaos an Informationen und die Ohnmacht angesichts des Krieges durch praktische Hilfe und Gespräche zu bewältigen“, sagt Ulrike Behrens, die in Zeuthen die Koordination übernommen hat. „Die Kolleginnen und Kollegen auf dem Campus sind unglaublich hilfsbereit. Wieder einmal halten wir alle zusammen.“

Erste Maßnahmen: Wie DESY ukrainischen Mitarbeitenden hilft

„Unser Hauptaugenmerk liegt aktuell bei den Geflüchteten aus der Ukraine“, sagte DESY-Direktor Helmut Dosch Anfang März bei einer Info-Veranstaltung für die Belegschaft. „Darüber hinaus unterstützen wir die ukrainischen und auch russischen Mitarbeitenden bei DESY, die dringend unsere Hilfe brauchen.“ Laut International Office waren vor Kriegsbeginn rund 100 Forschende aus Russland und 30 aus der Ukraine bei DESY tätig.

Die ersten Hilfsmaßnahmen:
• DESY stellt seine Gästezimmer vorrangig Geflüchteten aus der Ukraine zur Verfügung. Verpflegung sowie medizinische Betreuung sind gesichert, Fahrten zu Erstaufnahmestellen organisiert.
• DESY verlängert – wo immer möglich – Arbeitsverträge und Stipendien von Menschen aus der Ukraine.
• DESY bietet allen Beschäftigten und Gästen psychologische Unterstützung über den Betriebsärztlichen Dienst an.

Drei Fragen an das Ukraine-Support-Team von DESY in Hamburg

Die Hilfsbereitschaft unter den DESYanerinnen und DESYanern ist groß. Deshalb hat sich um Martin Sandhop (International Cooperation and Strategic Partnership, KIB) ein Support-Team formiert, das Bedarf identifiziert und Hilfe organisiert. Drei schnelle Fragen an Martin Sandhop und Miriam Huckschlag aus dem Team Relation Management:

Martin Sandhop, was macht Ihr gerade?
Nach der Auftaktveranstaltung in der DESY-Coffeebar starten wir gerade für den Standort Hamburg einen großen Hilfsaufruf. DESYanerinnen und DESYaner können sich zum Beispiel melden, wenn sie Patenschaften für Geflüchtete übernehmen möchten. Da der Campus in Hamburg größer ist als in Zeuthen, versuchen wir hier, die Hilfsangebote zu kanalisieren, um die Geflüchteten und das International Office bestmöglich zu unterstützen.

An wen wenden sich DESYanerinnen und DESYaner, die helfen wollen?
Martin Sandhop: Da nenne ich mal die wichtigsten Kanäle:
• Wir haben eine zentrale E-Mail-Adresse eingerichtet. Die lautet: ukrainesupport@desy.de
• Es gibt auch einen neuen Hilfs-Newsletter: ukrainesupportnewsletter@desy.de. Wer sich hier registriert, wird über aktuelle Hilfsaufrufe informiert.
• Wer eine Unterkunft oder Übersetzungshilfe anbieten möchte, wendet sich bitte direkt an housing@desy.de
• Wer Anfragen für die Gästehäuser in Hamburg hat, wendet sich an hostel@desy.de
• Neueste Infos stehen im internen Bereich der neuen DESY-Ukraine-Webseite. Sie wird laufend aktualisiert.
Miriam Huckschlag: Auch die Coffebar hat ihr Angebot erweitert: Montags um 10:00 Uhr trifft sich das Support-Team zum Austausch. Interessierte sind immer herzlich willkommen. Für Ukraine-Themen gibt es auch extra Breakout-Rooms.

Und wenn jemand Geld spenden möchte?
Martin Sandhop: Wir haben ein paar tolle und erfolgreiche private Initiativen bei DESY laufen. Zum Beispiel die GoFundMe-Aktion "Unterstützung für Flüchtende bei DESY". DESY selbst kann keine Geldspenden annehmen.

HALTUNG

Gegen den Krieg: Statement von russischen Forschenden bei DESY

Dutzende russische DESY-Kolleginnen und -Kollegen haben kurz nach Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine dieses Anti-Kriegs-Kommuniqué verfasst:

Den offenen Brief russischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben mittlerweile weltweit über 8000 russische Forschende unterzeichnet.

Sanktionen: vorläufiges Ende der Zusammenarbeit mit Russland

Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine greifen auch bei DESY Sanktionen: „Wir setzen alle Projekte mit Russland und Belarus aus. Auch gemeinsame Publikationen“, sagt DESY-Direktor Helmut Dosch. Die Maßnahmen richten sich gegen Institutionen und Organisationen. „Auch wenn es mir in der Seele wehtut, dass davon friedliebende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betroffen sind.“ Weiter sagt er: „Wir sind im engen Kontakt mit dem BMBF, das unsere Maßnahmen mit großem Nachdruck unterstützt.“ Bei DESY sind mehr als 25 Kooperationen betroffen, darunter das LUXE-Experiment, die RACIRI-Sommerschule und die PITZ-Kooperation in Zeuthen.

Wer weitere Fragen hat, sollte sich direkt mit seiner Bereichsleiterin oder seinem Bereichsleiter in Verbindung setzen.

DESY-Direktor Helmut Dosch gibt russische Ehrendoktorwürde zurück

Das Kurchatov Institut im russischen Moskau hat sich in einer Stellungnahme hinter Kriegstreiber Putin gestellt. „Ungeheuerlich!", sagt Helmut Dosch. „Ich habe als persönliche Reaktion meine Ehrenwürde zurückgegeben, die ich 2010 vom Kurchatov Institut erhalten hatte.“

DESY IN DEN MEDIEN

Wissenschaft in Zeiten des Ukraine-Kriegs: DESY-Direktor Helmut Dosch hat in den vergangenen Tagen zahlreiche Interviews gegeben, unter anderem für DIE ZEIT und Die Welt. Die Artikel stehen auch im internen Bereich der DESY-Ukraine-Seite.

CAMPUS NEWS UKRAINE

IT-Sicherheit: Erhöhte Gefahrenlage

Die Kolleginnen und Kollegen von DESYs IT-Sicherheit und Datenschutz warnen vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs vor einer größeren Bedrohung der IT-Infrastruktur. Die Abteilung bittet deshalb unter anderem darum, Sicherheitsupdates für Betriebssysteme und Anwendungen zu installieren und die Echtheit eingehender E-Mails kritisch zu hinterfragen. Bei Unsicherheiten oder Fragen bitte bei d4@desy.de melden.

Neue DESY-Webseite zur Ukraine

Zum Schluss noch einmal der Hinweis: Unter www.desy.de/ukraine finden DESYanerinnen und DESYaner aktuelle Informationen, Reaktionen und Maßnahmen – und vor allem im internen Bereich wichtige Kontakte, Hilfsangebote für Betroffene und Infos für Helferinnen und Helfer.

KONTAKT

DESY inform-Team:

Projektleitung: Kerstin Straub
Redaktionsleitung: Kristin Hüttmann
Redaktion: Christina Mänz, Barbara Warmbein,Thomas Zoufal, Joseph Piergrossi
Gestaltung: Cristina Lopez Gonzalez
Bildnachweis: DESY: Rüdiger Nehmzow, Stefan Klepser, Marta Mayer, Miriam Huckschlag I iStock, golubovy
Kontakt: inform@desy.de