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Ökotest für PETRA IV

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Ökotest für PETRA IV

DESYs Nachhaltigkeitsstrategie verpflichtet: Beschleunigerdirektor Wim Leemans und Nachhaltigkeitsmanagerin Denise Völker im Gespräch.

Bitte sagen Sie uns gleich vorweg: Wie wichtig sind DESY die Aspekte Nachhaltigkeit und Energieeffizienz bei der Planung eines Großgeräts wie PETRA IV?

Wim Leemans: Angesichts der Klimakrise müssen wir diese Punkte von Anfang an mitdenken. Gerade bei Großgeräten, wie wir sie bei DESY betreiben, fühle ich eine geradezu moralische Verpflichtung, unseren CO2-Fußabdruck so gering wie möglich zu halten. Damit wir unseren Kindern und Enkeln einen lebenswerten Planeten hinterlassen, müssen wir den Obama-Slogan „Yes, we can“, mit Greta Thunbergs Dringlichkeit verbinden. Daraus wird dann ein „Yes, we must“ – Ja, wir müssen handeln!

Denise Völker: Wir sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wir erforschen nicht nur die Klimakrise, sondern auch Möglichkeiten, sie zu bekämpfen. Deshalb haben wir auch im Namen der Wissenschaft die Verpflichtung, nachhaltig zu handeln.

Leemans: Klimabewusstsein ist eine globale Basisbewegung. Das merkt man auch bei DESY. Wir alle wollen das.

Völker: Und wir dürfen nicht darauf warten, bis wir durch Auflagen zum Handeln verpflichtet werden. Wir wissen, was wir tun müssen. Also lasst es uns machen!

 

Dann werden wir jetzt konkreter: Was wird nachhaltig bei PETRA IV?

Leemans: Das beginnt damit, dass PETRA IV im bestehenden Ringtunnel unserer Röntgenlichtquelle PETRA III gebaut wird. Der wird quasi recycelt. Was die Energieeinsparung angeht, erforschen wir in der Planungsphase verschiedene Methoden: Eine entsteht beispielsweise in Zusammenarbeit mit der euopäischen Röntgenlichtquelle ESRF in Frankreich und dem Cockroft Institute in Großbritannien. Die Technik beruht auf Permanentmagneten. Das Material dieser Magnete hat von sich aus ein starkes Magnetfeld, das ohne zusätzliche Energiezufuhr besteht. An der ESRF werden sie bereits eingesetzt, was dort zu einer Stromeinsparung von mehr als 20 Prozent führte. Die Permanentmagnete müssen aber noch weiterentwickelt werden, bis sie im großen Stil einsatzbereit sind. Ein anderes Beispiel: Wir schalten bei den Beschleunigern um auf effizientere Halbleiterverstärker. Diese Technologie kommt vom CERN. Wir nutzen die Erfahrungen anderer Labore und damit die beste verfügbare Technologie, um die Grenzen des Machbaren noch weiter zu verschieben, weil es normalerweise viele Jahre dauert, bevor Entwicklungen in die Anwendung kommen.

Stichwort Permanentmagnete: Wie nachhaltig sind diese Bauteile? 

Völker: An dem Beispiel wird deutlich, wie kompliziert Nachhaltigkeit sein kann. Sicher ist: Mit Permanentmagneten wäre die Energieeinsparung für ein Gerät, das über Jahrzehnte laufen soll, wirklich enorm. Das Dilemma ist leider, dass zur Herstellung dieser Magnete „Seltene Erden“ gebraucht werden; Rohstoffe für Hightech-Anwendungen, wie sie beispielsweise auch in Smartphones und Notebooks stecken. Der Abbau und die Verarbeitung von Seltenen Erden ist jedoch mit großen ökologischen und gesellschaftlichen Problemen verbunden: Wir sprechen hier über Kinderarbeit im Kongo oder zerstörerischen Raubbau in China. Ganze Landstriche haben dort mit den giftigen Abfällen der Minen zu kämpfen!

Leemans: An diesem Punkt wird deutlich, warum wir eine Nachhaltigkeits-Managerin wie Denise brauchen. Sie klärt auf. Wenn man für die technische Lösung zuständig ist, hat man solche Punkte nicht unbedingt im Blick.

Völker: Ich recherchiere, ob es für die Seltenen Erden Zertifizierungssysteme oder alternative Quellen gibt, mit denen wir die Permanentmagnete nachhaltiger herstellen können… Auch wenn es bisher noch keine verlässlichen Zertifikate für Seltene Erden gibt, können wir dennoch dazu beitragen, dass sich das in Zukunft ändert.

Leemans: Wir suchen gemeinsam nach der besten Lösung.

 

Gibt es Punkte, die bei PETRA IV nicht verhandelbar sein werden? 

Völker: Mein Fokus liegt auf Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, erneuerbaren Materialien. Aber natürlich muss man Energie aufwenden, um überhaupt Forschung – auch zu den globalen Herausforderungen unserer Zeit – betreiben zu können.

Leemans: Um hier ein paar Beispiele zu nennen: Wir wollen mit PETRA IV unter anderem fortschrittlichere Batterien und bessere Photovoltaik-Zellen sowie leistungsfähigere Materialien für Windräder entwickeln. Es ist eine Investition in technologische Fortschritte, mit denen wir als Gesellschaft Energie effektiver nutzen können.

Völker: Und dabei ist es selbstverständlich, dass die Qualität des PETRA IV-Röntgenstrahls selbst nicht verhandelbar ist.      

Leemans: Das ist in der Tat so, Denise! Aber die Frage ist interessant, weil sie auch zum Öko-Strom führt, für den wir uns beide stark gemacht haben – und auf den DESY 2023 umschalten wird. Natürlich kamen Fragen wie: „Wie hoch sind die Mehrkosten für Ökostrom – und ist es das wirklich wert?“ Ich aber sage: Wie hoch ist der Preis, den wir in Klimakrisen-Zeiten zahlen, weil wir noch nicht umgeschaltet haben? Diese Kalkulation müssen wir hier anstellen. Aber um auf PETRA IV zurückzukommen: Ich erinnere mich an eine Nachhaltigkeits-Konferenz, bei der die Fragen des jungen Publikums alle darauf abzielten, wie man den hohen Energieverbrauch für Beschleuniger rechtfertigen könne. Das ist eine ganz wichtige Botschaft: Die Jüngeren agieren mit einer ganz anderen Dringlichkeit. Deshalb bin ich bereit, mehr zu investieren, um PETRA IV so grün wie möglich zu machen.

Ist Nachhaltigkeit denn eine Generationsfrage? 

Völker:  Für die Jüngeren ist das Thema selbstverständlicher…

Leemans: Ich bin ein Kind der 60er – wir sind ja noch mit Autos gefahren, bei denen Blei aus dem Auspuff kam.

Völker: … aber ich war überrascht, wie viele nicht mehr so junge DESY-Mitarbeitende mir ihre nachhaltigen Ideen präsentiert haben. Mit meiner Stabsstelle ist bei DESY eine andere Dynamik entstanden und ein stärkerer Fokus auf Nachhaltigkeit gelenkt worden. Es ist einfacher, Kooperationen zu finden und finanzielle Mittel für Nachhaltigkeits-Ideen zu sichern. Ein Beispiel dafür ist die Abwärme. Über Jahre haben Forschende darüber nachgedacht, was damit bei DESY gemacht werden kann. Und jetzt realisieren wir diese Ideen. Die Abwärme aus der Heliumverflüssigung wird schon heute zur Beheizung des halben Campus eingesetzt. Und mit der Abwärme von PETRA IV werden wir den gesamten Campus und darüber hinaus die Nachbarschaft beheizen können.

Leemans: Das kann im großen Stil für das Zukunftsprojekt Science City Hamburg Bahrenfeld interessant sein.

 

Und in welchen Nachhaltigkeits-Belangen kann PETRA IV zum Vorreiter werden?

Leemans: Mein großes Interesse gilt der Laser-Plasmabeschleunigung; einer neuen Generation kompakter, leistungsfähiger Teilchenbeschleuniger. Bei der Planung von PETRA IV setzen wir noch auf konventionelle Beschleuniger, schließen aber die Option für Plasmabeschleunigung mit ein. Wir arbeiten daran, dass wir sie zukünftig verlässlich einsetzen können. Dank aktueller erfolgreicher Tests bin ich extrem zuversichtlich, dass wir in den kommenden fünf Jahren alle Schlüsselkomponenten so weit haben, dass sie für PETRA IV eingesetzt werden könnten. Es wäre ein großer Triumph, wenn die Plasmabeschleunigung verlässlich funktioniert. Für mich wäre das ein „Moonshot“.

Völker: Es gibt so viele Herausforderungen und Visionen – das macht das Ganze so spannend. Wir beginnen mit der Umsetzung einer Reihe von wichtigen nächsten Schritten, wechseln zu Ökostrom, nutzen Abwärme – weil wir heute die Technologie dafür haben. Wir entwickeln die Permanentmagnete weiter – weil es dafür schon eine gute Basis gibt. 

Leemans: Als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, als Bewohner und Bewohnerinnen des Planeten Erde sind wir engagiert, unsere Beiträge zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten; eine Kernüberzeugung von DESY als Institution. Wir haben den Willen und den Ehrgeiz, etwas zu verändern!