Science Day 2022: Interview mit Preisträgerin Frauke Poblotzki
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Science Day 2022: Interview mit Preisträgerin Frauke Poblotzki

Gewinnerin DESY Award for Exceptional Achievements 2022: Ingenieurin Frauke Poblotzki. (Foto: DESY, Christina Mänz)
Frauke Poblotzki ist eine weltoffene und engagierte Frau mit coolen Kompetenzen: Sie ist Ingenieurin für Kältetechnik in der ATLAS-Gruppe und auf ihrem Gebiet eine der Besten. Forschungszentrums-übergreifend! Was sie antreibt, was sie ausmacht – und was sie macht, das erzählt sie im Interview:
Frauke, am DESY Science Day wurdest Du insbesondere für Deine herausragende Leistung bei der Entwicklung und Konstruktion von vier Verdampfungskälteanlagen namens LUCASZ CO2 geehrt – kurz erklärt, was ist LUCASZ?
CO2 wird seit einigen Jahren in der Teilchenphysik in einigen Experimenten als Kälteträger für die Detektoren benutzt. Die Detektoren haben viel Elektronik, die gekühlt werden muss, und die Sensoren funktionieren gekühlt auch besser. Das heißt, dass in den Rohren der Detektoren flüssiges CO2 fließt und teilweise verdampft wird. Dabei müssen Temperatur, Druck und die Menge an CO2, die durch den Detektor fließt, zueinander passen. Anschließend muss der Dampf wieder vollständig verflüssigt werden. Die Verdampfungskälteanlage LUCASZ übernimmt alle diese Aufgaben.
Wo werden die Anlagen eingesetzt?
Die vier LUCASZ-Anlagen werden genutzt, um die neuen Detektorteile für das ATLAS- und das CMS-Experiment am LHC am CERN zu testen. Verschiedene Teile der Detektoren werden international an verschiedenen Instituten gebaut und müssen getestet werden, bevor sie in den Experimenten eingebaut werden. Die Anlagen werden dafür am CERN, in den Niederlanden, in Italien und bei uns gebraucht. Der große Vorteil: LUCASZ ermöglicht es, fast genau die Kühlungsbedingungen herzustellen, die später von den großen Anlagen am CERN bereitgestellt werden.
Ist LUCASZ eine nachhaltige Art der Kühlung?
CO2 als Kältemittel ist super. Es ist ein natürliches Gas und keine künstliche chemische Verbindung. Das heißt, seine Umweltauswirkungen sind wesentlich besser verstanden. Die meisten Kältemittel wirken sich stark auf das Klima aus. CO2 ist der Referenzwert für das Klimaerwärmungspotenzial, weil seine Schädlichkeit um mehrere tausend Mal geringer ist als die der häufig verwendeten industriellen Kältemittel. Die Technik ist inzwischen so ausgereift, dass sie mit den hohen Drücken, die in einem Kältekreis mit CO2 notwendig sind, sicher umgehen kann. LUCASZ selbst nutzt im Vorkühlkreis leider kein CO2 als Kältemittel, sondern R407A, ein industrielles Kältemittel. Aber die großen Anlagen, die am CERN gebaut werden, verwenden nur noch CO2 als Kältemittel – das ist eine große Innovation.
Und was für Projekte kommen als nächstes?
Wir wollen ja eine neue Endkappe für den ATLAS-Detektor bauen. Da ist noch jede Menge zu tun. Zum Beispiel bin ich auch für die Kühlrohre im Detektor selber verantwortlich. Die bestehen zum großen Teil aus Titan. Das Schweißverfahren haben Heiko Hintz von MKS1 und ich zusammen entwickelt. Ohne die Titan- und Schweißexpertise von MKS1 wären wir lange nicht so weit. Und die Thermodynamik beim Testen der Detektorteile wird auch nochmal spannend. Da kann LUCASZ dann zeigen, was er kann.
Was war für dich ausschlaggebend, mit Deiner Expertise als Ingenieurin an ein Forschungszentrum zu wechseln?
Ich bin im Herzen Forscherin. Lernen und Ausprobieren, um zu gucken, was passiert und wie alles zusammenhängt, macht mir viel Spaß. Erkenntnisse gewinnen und etwas selber zu schaffen, das motiviert mich. Ich habe zwei Jahre in der Industrie an der Entwicklung von Wärmepumpen gearbeitet. Es hat Spaß gemacht, das Ziel ist ein marktreifes Produkt. Aber Teilchenbeschleuniger sind noch einen Zacken cooler!
Frauen sind auf diesem Gebiet noch immer in der Minderheit. Was braucht es – auch bei DESY – um mehr junge Frauen für Ingenieurswesen oder Maschinenbau zu begeistern?
Für mich persönlich: Jemanden, der Mut macht und sagt: Guck mal, das hier kannst du ausprobieren. Wenn du Fragen hast, komm zu mir oder wir machen den Anfang gemeinsam! Insgesamt: Das Bild des „Ingenieurs“ entstauben. Ich habe gar nicht Maschinenbau studiert, aber irgendwie glauben das alle, und trotzdem mache ich meinen Job wohl ganz gut. Es gibt so viele spannende Fächer, die man studieren kann. Ich kannte nach der Schule fast keines davon. Deshalb muss es einfach sein, zu wechseln, sich neu zu orientieren. Im Studium und im Berufsleben. Gelernt hat man ja was, und das ist das wichtige. Nehmt den Menschen das Gefühl, in einer Kategorie „fest zu stecken“ und den Druck, besonders schnell und super gut sein zu müssen – das schadet dem geistigen Horizont.
Was empfindest du, war deine Leistung? Was hast du für dich gelernt?
Ich habe aus einem Satz Dokumente und einem Haufen Komponenten vier funktionstüchtige Maschinen gemacht. Ich habe nicht alles selbst gemacht, aber ich habe die Menschen gefunden, die wissen wie es geht. Es gab Probleme, von denen ich vorher nicht geahnt habe, dass ich sie haben könnte. Gelieferte Komponenten hatten Fehler, Informationen in den Unterlagen fehlten, Dinge passten nicht zusammen. Ich habe mir das Wissen gesucht, das ich brauchte. Ich habe Fehler behoben und Probleme gelöst und dabei mehr gelernt, als wenn alles sofort funktioniert hätte. Das wird uns im Betrieb helfen. Ich kenne die Maschinen jetzt bis ins Detail. Auch die LUCASZ-Entwickler vom CERN sagen, dass ich vermutlich mehr weiß als sie. Was den realen Umgang mit dem Design und den Maschinen angeht, haben sie wohl auch recht. Im Betrieb wird sich das noch zeigen. Persönlich habe ich gelernt, dass es entlastend ist, sich auf eine Sache zu konzentrieren und einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Dass es wichtig ist, nach Unterstützung zu fragen. Dass es Menschen gibt, die einem helfen – und wenn es nur mit einem Stück Schokolade ist. Ohne all die Menschen, die gesagt haben: Ich habe genug auf dem Zettel, aber ich helfe dir so gut ich kann, wäre es nicht gegangen. Ich hoffe nur, ich habe sie nicht völlig vergrault.