DESY-Hilfe: Ukrainisch-russisches Engagement
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DESY-Hilfe: Ukrainisch-russisches Engagement
Der Ukrainer Andrei Hloskovsky und die gebürtige Russin Natalia Potylitsina-Kube engagieren sich gemeinsam für den DESY Relief Funds. (Foto: DESY/Christina Mänz)
Natalia, Andrei, DESY hat allein über 80 fest angestellte russische Mitarbeitende und mehr als 20 aus der Ukraine. Hat sich auf kollegialer Ebene bei DESY seit Kriegsbeginn etwas für Sie beide verändert?
Andrei: Nein, ich glaube nicht. Ich habe keine Beziehungen mit russischen Kolleginnen oder Kollegen beendet. Wir sind doch alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler… Beziehungen beenden? Nein! Im Gegenteil: Wir versuchen, miteinander zu reden und sie dabei zu unterstützen, dass sie zum Beispiel den Menschen in Russland erklären, wie die Lage wirklich ist. Ich für meinen Teil kann sagen: Alle unsere russischen Partner sind gegen diesen sinnlosen Krieg. Und sie versuchen, die Menschen genau davon zu überzeugen, auch wenn sie selbst nicht viel tun können. Wir hoffen wirklich, dass die Zusammenarbeit irgendwann wieder aufgenommen werden kann.
Natalia: „Ich habe zwei russische Freundschaften leider beenden müssen – aber nicht in der DESY-Community und nur diese zwei aus mehreren.
Was hat sich seit Kriegsbeginn an Ihrer beruflichen Situation geändert?
Andrei: Nur ein Beispiel: Wir haben lange, seit 2009, mit einer russischen Gruppe zusammengearbeitet. Die ersten Experimente fanden am Speicherring DORIS statt. Unter den aktuellen Vorgaben musste diese Zusammenarbeit ausgesetzt werden. Auf privater Ebene finden aber noch Gespräche statt.
Lassen Sie uns über den DESY Relief Funds sprechen: Sie beiden nehmen seit Mitte März an den wöchentlichen Meetings teil. Worum geht es genau?
Natalia: Am Anfang haben wir diskutiert, wie wir konkret mit welchen Mitteln helfen können. Beim zweiten Meeting haben wir uns bereits einzelne Fälle von hilfsbedürftigen Kolleginnen und Kollegen angeschaut, die dringend Unterstützung benötigt hatten. Bei den nächsten Treffen ging es dann aber auch schon um die Frage, wie wir nicht nur einzelne Personen, sondern auch das Forschungsinstitut in Kharkiv unterstützen können.
Andrei: Es gibt eine Helmholtz-Initiative, die speziell geflüchteten Forschenden sechsmonatige Arbeitsverträge an deutschen Forschungszentren vermittelt. Und wir hier bei DESY versuchen vornehmlich, jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Anfang der Karriere zu helfen – oder solchen, die wir kennen, mit denen wir schon zusammengearbeitet haben.
Natalia: Bisher konnte der DESY Relief Funds und die Helmholtz-Initiative ungefähr zehn Kolleginnen und Kollegen unterstützen. Das größte Problem dabei ist, dass wir nur denen helfen können, die die Ukraine bereits verlassen haben und für die es hier bei DESY ein passendes Forschungsprojekt gibt. Der andere Fokus von uns liegt auf der Unterstützung des Kharkiw Institutes. Ich hoffe, dass wir einen Weg finden, mehr und mehr Menschen in der Ukraine selbst zu helfen.
Andrei: Das ist sehr wichtig, dass wir die Wissenschaft dort unterstützen, weil viele das Land nicht verlassen können. Meine Erwartungen sind hoch. Aber die richtigen Maßnahmen haben wir noch nicht gefunden.
Das Kharkiv Institute liegt Ihnen beiden besonders am Herzen…
Natalia: Mich hat ein Zoom-Meeting mit Mykola Shulga, dem Direktor vom Kharkiv Institute schwer beeindruckt: Ich konnte sehen, wie seine Fenster verklebt waren, damit kein Licht nach draußen dringt. Das hat mir den Krieg sehr nah gebracht…. Ich hatte ihn vor drei Jahren mal persönlich getroffen. Er war ein fitter, kräftiger Mann – jetzt musste er mit ansehen, wie sein Institut zerstört wurde. Er ist um Jahre gealtert. Das hat mich persönlich sehr bewegt und hart getroffen. Deshalb hoffe ich sehr, dass wir das Kharkiw Institute weiter unterstützen können.
Andrei: Ich schildere Ihnen dazu mal eine Szene aus dem April: Da kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler meiner Heimat-Universität in Lwiw als PETRA-III-User zu DESY. Das waren über 60 Forschende. Sie hatten ein begrenztes Budget und kamen mit zwei Bussen nach Hamburg. Ich habe sie gefragt, ob wir sie unterstützen könnten, zum Beispiel bei den Reisekosten. Aber das haben sie abgelehnt. ‚Uns geht es gut – schaut euch das Kharkiv Institute an‘. Also: Jeder ukrainische Forschende hat vor Augen, was dort passiert ist.
Was bedeutet es Ihnen persönlich, sich hier bei DESY gemeinsam für ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu engagieren?
Andrei: Ich bin einfach sehr froh, dass ich meinen Teil beitragen kann.
Natalia: Ich versuche zu helfen. Ich könnte nicht so tun und weiterleben, als ob nichts geschehen wäre.